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Titan­unverträg­lichkeiten


Zahnimplantate sind Fremdmaterialien, die in den Kiefer eingesetzt werden. Sie übernehmen im Kieferknochen die Funktion künstlicher Zahnwurzeln. Im Allgemeinen verbinden sie sich innerhalb von 3 bis 6 Monaten mit dem umgebenen Knochen zu einer festen, äußerst belastungsfähigen Einheit, auf die dann der Zahnersatz eingesetzt werden kann. Zahnimplantate bestehen üblicherweise aus Reintitan. Bei orthopädischen Implantaten werden neben Titanlegierungen häufig auch Kobalt/Chrom- und Nickel/Chrom-Legierungen verwendet. Titan zeichnet sich durch hohe Festigkeit und ein geringes Gewicht aus.

Zahnimplantate können die Lebensqualität deutlich verbessern. Sie ermöglichen Patienten bei fehlenden Zähnen eine optimale Kaufunktion, Ästhetik und unbeschwertes Sprechen. Ob und wie eine Implantation realisiert werden kann, hängt von mehreren Faktoren ab. Beispielhaft seien Knochenqualität, Raucherstatus, Mundhygiene, verwendetes Implantatsystem, Grunderkrankungen wie Osteoporose oder Parodontitisstatus genannt. Neben diesen Faktoren ist aber bekanntermaßen auch die individuelle immunologische Toleranz auf Titan ein wichtiger prognostischer Marker für den Langzeiterfolg einer Titanimplantation.

Titan ist für viele Patienten ein gut verträgliches Material, da im Unterschied zu anderen Metallen Allergien auf Titan ausgesprochen selten sind. Von der Oberfläche des Implantates können sich aber Titanoxidpartikel lösen, welche sich im umliegenden Gewebe ablagern. Diese, nur wenige Mikrometer großen Partikel, sind für die Mehrheit der Patienten unproblematisch, da das Immunsystem sie ignoriert. Einige Patienten reagieren jedoch auf diese Titanoxidpartikel mit einer Entzündungsreaktion. Bei diesen Patienten ist die Gefahr einer Implantat-assoziierten Entzündung und eines Implantatverlustes erhöht.

Mit einer modernen Laboruntersuchung kann man heute die Reaktionsbereitschaft der Blutzellen auf Titanoxidpartikel testen. Bei dieser Untersuchung, dem sogenannten Titanstimulationstest, werden Ihre Blutzellen im Labor mit Titanoxidpartikeln stimuliert. Anschliessend wird die Menge an gebildeten entzündungsfördernden Botenstoffen (Zytokine) gemessen. Im Normalfall produzieren Immunzellen keine oder nur geringe Mengen der Zytokine IL-1 und TNFα bei Kontakt mit Titanoxidpartikeln. Nur bei Personen die mit einer gesteigerten Freisetzung von IL-1 und TNFα reagieren, ist die Gefahr eines Implantatverlustes erhöht.

Schon frühzeitig nahm man an, dass es eine genetische Prädisposition für ein Titan-assoziiertes Immungeschehen gibt. Heute weiß man, dass die Gene für die entzündungsfördernden Botenstoffe (Zytokine) nicht bei jedem Menschen gleich sind. Einige Menschen tragen genetische Konstellationen, die zu einer überschiessenden Entzündungs¬reaktion führen. Mit einem genetischen Test können heute die für die Entzündungsantwort wichtigsten Gen¬varianten (IL1, IL1RN, TNFα) bestimmt werden. Aus diesen kann die individuelle Entzündungs¬neigung von Grad 0 (geringe Entzündungs¬neigung) bis Grad 4 (deutlich erhöhte Entzündungsneigung) ermittelt werden. Patienten mit Entzündungsgrad 2-4 haben nachweislich ein erhöhtes Risiko für ein Titanimplantat-assoziiertes Immungeschehen.

Ein positiver Titanstimulationstest und/oder ein genetischer Entzündungsgrad 2-4 für sich allein stellt noch keine absolute Kontraindikation für ein Titanimplantat dar. Inzwischen gibt es aber für einige Indikationen auch Alternativen zum Titan, zum Beispiel aus Keramik oder beschichtete Titanimplantate. Wichtig ist es, das erhöhte Risiko zu kennen, um frühzeitig vor der Implantation darauf reagieren zu können oder andere Risikofaktoren zu minimieren.

Neben der Titanunverträglichkeit könnten Sensi¬bilisierungen (Allergien) auf zusätzlich im Titanimplantat enthaltene Metalle wie Nickel, Vanadium oder Aluminium bei Ihnen bestehen. In Abhängigkeit vom zur Verwendung anstehenden Implantatsystem empfiehlt es sich daher möglicherweise zusätzlich mittels eines LTT-Test auf Sensibilisierungen auf diese Metalle zu untersuchen. Positive Ergebnisse wären bei der Auswahl des Implantatsystems dann ebenfalls zu berücksichtigen.