Nahrungsmittelallergie
Aktivierung der Osteoklasten durch Nahrungsmittelallergien
Die Parodontitis ist ein immer wiederkehrendes Thema in der Zahnmedizin. Trotz großer medizinischer Fortschritte ist es bislang nicht gelungen, diese Volkserkrankung einzudämmen. Was uns mit der Kariesreduktion ganz gut gelungen ist, gilt nicht für die Entzündungen des Zahnhalteapparates. Die Deutsche Mundgesundheitsstudie, eine Untersuchung im Auftrag von Bundeszahnärztekammer und Kassenzahnärztlicher Bundesvereinigung beschäftigt sich in größeren Abständen mit der Mundgesundheit der Deutschen. Zwar hat sich die Situation insgesamt verbessert, aber trotzdem ist noch weiterer Handlungsbedarf angezeigt. Der Anteil der Erwachsenen mit einer Parodontalerkrankung ist mit 51 – 64 % immer noch zu hoch. Die demographische Entwicklung kann diese Entwicklung nur bedingt erklären.
Seit den bahnbrechenden Arbeiten der Prophylaxe-Pioniere Axelsson und Lindhe in den 1970er Jahren besteht kein Zweifel mehr darüber, dass bakterielle Zahnbeläge (Plaque/Biofilm) an der Entstehung von Parodontitis beteiligt sind. Zahnstein und daraus resultierend Konkremente an der Wurzeloberfläche dienen den Keimen als „Rutschbahn“ in die Tiefe des Zahnhalteapparates.Trotz aller Bemühungen zur Keimreduktion ist es allerdings auch evident, dass sich Knochenabbau und tiefe Taschen auch ohne Keimbesiedelung bilden können. Offenbar gibt es auch andere Mechanismen, welche den Knochenabbau induzieren.
Unter den Parodontologen herrscht Einigkeit darüber, dass die Infektion der Zahnfleischtaschen eine Immunkaskade in Gang setzt, in deren Verlauf es zur Aktivierung der Osteoklasten durch Zytokine und zum Knochenabbau kommen kann. Dabei ist aber auch zu berücksichtigen, dass innerhalb der Mundschleimhaut mehr toleranzinduzierende regulative T-Zellen zu finden sind als anderswo im Körper. Reaktionen des Immunsystems, vor allen im Bereich der T Zell/ Makrophagen-Reaktionen sind immer systemisch wirksam, deshalb ist es auch denkbar, dass Immunreaktionen von anderen Orten des Körpers Einwirkungen auf den Knochenstoffwechsel des oralen Systems haben.
as liegt näher als sich mit dem Darm zu beschäftigen, denn hier liegt ca. 80 % unserer Immunfunktion. Schon in der TCM wird gelehrt, dass Darm und Mund sich wie Spiegelbilder zu einander verhalten. Dieses Wissen entstand aber ohne dass die pathophysiologischen Hintergründe dieser Beziehung klar waren.
Die Darmschleimhaut (GALT – Gut associated lymphoid tissue) ist ein komplexes System. Es stellt den Übergang zwischen Innen und Außen dar, denn der Körper kontrolliert hier sehr genau, was die Grenzfläche passieren darf. Zum Schutz gegenüber allem, was von außen kommt, sind die Epithelzellen der Schleimhaut sehr dicht miteinander verknüpft. Diese Verknüpfung geschieht durch die Tight Junctions. Das sind schmale Bänder aus Membranproteinen, welche die Verbindung der Epithelzellen der Darmschleimhaut untereinander herstellen (Abb. 1). Sie verschließen den Zellzwischenraum und bilden somit eine Diffusionsbarriere. Diese kontrolliert den Fluss von gelösten Aminosäuren, Zuckern und Fettsäuren, aber auch von Nahrungsmittelproteinen.
An der pathophysiologischen Regulation der Tight Junctions sind zahlreiche Substanzen beteiligt: sekretorisches IgA, Enzyme, Neuropeptide, Neurotransmitter, Peptide aus der Nahrung, Lektine, Hefen, aerobe und anaerobe Bakterien, Parasiten, proinflammatorische Zytokine, freie Radikale und eine Dysfunktion der regulatorischen T-Zellen.
Die Makrophagen, welche als antigenpräsentierende Zellen den Anfang der spezifischen Immunabwehr bilden, sind sehr nah an den Epithelzellen positioniert und durchstoßen mit langen Fortsätzen die interzellulären Verbindungen, um im Darmlumen nach potentiellen Antigenen zu suchen, um sie den T-Zellen zu präsentieren.
Um die Wirkung des Immunsystems auf den Knochenstoffwechsel darstellen zu können muss man sich primär das Zusammenspiel der Makrophagen (oder auch dentritischen Zellen, wie sie heißen, wenn sie im Gewebe stationiert sind) und der Lymphozyten vor Augen führen. Die Aufgabe der Makrophagen ist es, durch Aufnahme von Antigenmaterial und Präsentation von dessen Bruchstücken auf der Zelloberfläche diese im Blut patrollierenden T-Lymphozyten anzubieten.
T-Lymphozyten besitzen an ihrer Oberfläche ca. 109 Rezeptoren verschiedenster räumlicher Struktur, um so auf eine Vielzahl von Allergenen reagieren zu können. Kommt es zum Andocken des präsentierten Allergens an den Rezeptor der T-Zelle, resultiert daraus eine Aktivierung des der T-Zelle im Sinne der Typ-IV-Allergie und es werden eine ganze Reihe von Zytokinen ausgeschüttet, die verschiedenste Wirkungen entfalten. Diese steuern mannigfaltige physiologische Prozesse.
Eine zentrale Rolle spielen dabei die Makrophagenzytokine TNF-alpha und IL1, denn diese entfalten eine große Wirkung auf den Körper, zu denen auch die Aktivierung der Osteoklasten gehört, die den Knochenabbau fördern (Abb. 2).
Über die Wirkung von TNF-alpha gibt es in der Literatur vielfältige Hinweise. Schon 2001 wiesen Zhang et al. auf den Zusammenhang von TNF-alpha mit der Osteoklastenaktivität hin. Verschiedene andere Studien konnten diesen Nachweis wiederholen. So wurde auch 2008 von Schulz et al. auf die Bedeutung von TNF-alpha und chronischer Parodontitis hingewiesen.
Den Zusammenhang zwischen TNF-alpha, Darmgesundheit und Knochenabbau wurde 2016 von Iqbal et. al mit ihren Experimenten mit keimfreien Mäusen erbracht. Die Verbindung zur Ernährung gelang bereits 2013 mit der Arbeit von Ambroszkiewicz. Dort konnte nachgewiesen werden, dass bei Probanden mit Kuhmilchallergie die TNF-alpha/RANKL abhängige Knochenabbauvorgänge beschleunigt werden.
Diese Vorgänge spielen sich langsam beginnend im Sinne einer „Silent Inflammation“ ab. Dies bedeutet, dass sie unterhalb einer Akutschwelle laufen und vom Patienten nicht unbedingt bemerkt werden. Es brauch mitunter Jahre, bis Symptome auftreten. Bezüglich der Vorgänge im Darm bedeutet dies, dass am Anfang die Reaktionen noch gemäßigt ablaufen, es aber schon langsam durch das TNF-alpha zu Auflösungserscheinungen der Tight Junction im Darm kommt. Anfangs hält sich der Schaden noch in Grenzen, aber mit Fortlaufen der allergischen Reaktion auf ein oder mehrere Lebensmittel beginnt die Grenzschicht des Darmepithels sich aufzulösen und wir bekommen ein sogenanntes Leaky-Gut-Syndrom, d. h. einen durchlässigen Darm. Labortechnisch lässt sich dies durch das Auftreten von Zonulin im Blut nachweisen.
Gleichzeitig vollzieht sich eine Veränderung im Knochen des Alveolarfortsatzes, wo aktivierte Osteoklasten einen Knochenabbau begünstigen. Dieser kann zusammen mit der zusätzlichen Keimbesiedelung und die Reaktion darauf zu einem permanenten Knochenschwund führen. Nahrungsmittelunverträglichkeiten äußern sich dabei hauptsächlich in horizontalem Knochenabbau.
In diesem Geschehen spielt die Entzündungsgenetik eine noch zusätzlich entscheidende Rolle. Die Ablesung zur Produktion der Entzündungszytokine erfolgt nämlich an verschiedenen Genloci, wo festgelegt wird, wie viel bei einem entsprechenden Reiz von den Zytokinen TNF-alpha, IL1 oder auch des hemmenden Zytokin TNF-alpha-Rezeptorantagonist produziert wird. Ein harmonisches Zusammenspiel ist entscheidend für eine geregelte Immunantwort und ist ein regelrechter Balanceakt für das Immunsystem.
Die Entzündungsgenetik wird in den Graden 0 – 4 dargestellt. 0 = Low-Responder, 4 = High-Responder und die Zwischenstufen. Alle Prozesse von Nahrungsmittel-induzierten Knochenabbauvorgängen finden sich bei den Graden 2 – 4. Somit kann die Entzündungsgenetik als Marker für ein Parodontitis- Risiko angesehen werden.
Die Diagnostik von Typ-IV-Nahrungsmittelunverträglichkeiten geschieht über den Lymphozytentransformationstest (LTT). Die IgG-Test für Nahrungsmittel sind hierzu nur bedingt geeignet. Sie können zwar helfen, die Hintergründe für ein Leaky-Gut-Syndrom zusätzlich zu beleuchten, können aber die TNF-alpha-Aktivierung nicht erklären, welche wichtig für die Erklärung einer Parodontitis ist. In unserer Praxis geschieht dies durch den LTT „Top 25 Nahrungsmittel“ vom IMD Berlin, wo die 25 am häufigsten getesteten Nahrungsmittel erfasst werden. Dort kann auch die Entzündungsgenetik mit erfasst werden (Abb. 3 und 4).
Wichtig ist es, den nahrungsmittelinduzierten Knochenabbau differentialdiagnostisch von einer fehlenden Schleimhautimmunität abzugrenzen. Knochenabbauvorgänge kommen bei Patienten mit Entzündungsgrad 0 – 1 vor, allerdings liegt dann meistens ein Defizit in der primären Abwehr von Keimen in der Schleimhaut vor. Dies sollte dann zusätzlich abgeklärt werden. Dabei werden das sekretorische IgA, das mannosebindende Lektin MBL und die Phagozytosefähigkeit der Granulozyten untersucht.
Die Therapie erfolgt natürlich streng nach den Regeln der Parodontologie, d. h. Kürettage, Konkremententfernung und Rootplaning sowie Reduktion der Granulationsgewebe. Parallel sollte aber eine Reduktion oder Vermeidung der Nahrungsmittel-Trigger angestrebt werden und in der Zukunft möglichst beibehalten werden. Eine langfristige Gesunderhaltung der parodontalen Gewebe ist damit gewährleistet.
Die Erfassung von Nahrungsmittelallergien erweist sich als ein wirksames Standbein bei der Parodontitis-Therapie. Nahrungsmittel können über eine Makrophagen-T-Zell-Reaktion in der Mucosa (Peyer`sche Plaques) zur Ausschüttung von TNF-alpha und IL1 führen, welche eine Aktivierung der Osteoklasten bewirken. Diese sind systemischer Natur, werden aber am Kieferknochen am ehesten sichtbar.
Zusammen mit einer erhöhten Entzündungsgenetik im Sinne eines inflammatorischen Highresponders kann die Knochenresorption noch deutlicher ausfallen.
Das Aufspüren der Nahrungsmitteltrigger und die entsprechende Nahrungskarenz stellt dann eine zusätzliche Therapieoption dar.
Eine Betrachtung der Darmfunktion und dessen allergische Potenz gehören deshalb zu einer ganzheitlichen Betrachtung der Parodontitis.
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Autor
Dr. med. dent. Knut Hansen
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