Amalgam
An der Frage nach der Verträglichkeit oder Unverträglichkeit des Zahnfüllmaterials Amalgam scheiden sich bis heute die Geister - und zwar weltweit. In einigen Ländern ist der Einsatz von Amalgam aus ökologischen oder gesundheitlichen Gründen verboten, in anderen Ländern (wie z.B. auch den USA) sind noch nicht einmal die in Deutschland vorgeschriebenen Amalgam-Abscheider Pflicht. Eine „typisch deutsche“ Diskussion (angebliche „german angst“) ist die Amalgam-Diskussion jedenfalls nicht, wie der umfangreiche englischsprachige Wikipedia-Beitrag zum Thema beweist:
Die Amalgam-Debatte ist keinesfalls eine „Modeerscheinung“: Amalgam ist heftig umstritten bereits seit seiner Verbreitung durch die Gebrüder Crawcourt, die in den 30er Jahren des 19. Jahrhunderts durch ihren Umzug von Frankreich nach Amerika - und die Gründung einer äußerst florierenden Dentistenpraxis in New York - die ersten standespolitischen Auseinandersetzungen innerhalb der amerikanischen Zahnärzteschaft, den sogenannten „ersten Amalgamkrieg“, auslösten. Die Argumente sind - auf unterschiedlich entwickeltem Niveau - heute im Wesentlichen die gleichen wie damals: Auf der einen Seite stehen die Amalgamgegner, die eine Gesundheitsgefährdung durch diesen Werkstoff postulieren, auf der anderen Seite Amalgam-Befürworter, die dieses sehr haltbare Material wegen seiner vergleichsweise geringen Kosten nicht aus der Versorgung breiter Bevölkerungsschichten mit einer zahnerhaltenden Füllungstherapie entlassen wollen.
Da die Karies heute in ihrer weltweiten Verbreitung wieder zunehmend zu einem Problem geworden ist, das vorzugsweise ärmere Bevölkerungsschichten bzw. Länder betrifft, sind die Betrachtungen hierzu ebenso komplex wie der Zusammenhang mit der Frage einer weltweiten Ächtung des Metalls Quecksilber in sämtlichen industriellen und anwendenden Prozessen: zur langfristigen Eliminierung dieser Giftquelle aus der Umwelt.
Die WHO schätzt den Beitrag des dentalen Amalgams an der Gesamtemission von Quecksilber in die Umwelt auf etwa ein Drittel. Insofern stellt sich die Frage, ob – wie in so vielen Umweltfragen – die Kosten der Amalgamtherapie nicht weitaus höher sind, wenn man die Umweltfolgen (Praxisabwässer, Kremation von Amalgamträgern) mit einrechnen würde.
http://www.who.int/water_sanitation_health/medicalwaste/mercurypolpaper.pdf
8 % aller Träger von Amalgamfüllungen haben bei unabhängig voneinander durchgeführten Befragungen in Norwegen (2006)1 und Schweden (1993)2 gesundheitliche Probleme im Zusammenhang mit Amalgamfüllungen angegeben bzw. die Füllungen entfernen lassen. Acht Prozent sind nicht der Großteil der Bevölkerung. Aber auch keine vernachlässigbare Minderheit, wie es in der deutschen Diskussion zwischen Amalgam-Gegnern und Befürwortern oft scheint, in der je nach Standpunkt entweder „alle vergiftet“ sind – oder eben ein Fall für den Psychotherapeuten, wie es auch die umstrittene Amalgam-Studie nahelegen wollte, die durch ein deutsches Gerichtsverfahren gegen den Amalgam-Hersteller Degussa ausgelöst wurde, und die, je nach Sichtweise der Berichterstatter, entweder „Entwarnung für Amalgam“ signalisierte – oder, trotz zwölfjähriger Forschung (1996-2008!), weiterhin keine eindeutigen Ergebnisse3.
Zumindest darf die Diskussion um das Amalgam aufgrund der gut untersuchten Datenlage heute in die postideologische Ära eintreten: Auch die an der Studie beteiligten Untersucher der GZM (Internationale Gesellschaft für Ganzheitliche Zahnmedizin) fanden keine im klinischen Sinne einer Quecksilber-Intoxikation vergifteten Patienten. Keine der untersuchten diagnostischen Methoden konnte zuverlässig zwischen subjektiv gesunden und subjektiv belasteten Probanden unterscheiden. Trotzdem zeigten die Ergebnisse der kontrollierten, klinischen Studie, dass sich durch die Entfernung von Amalgamfüllungen die Hauptbeschwerden, die Lebensqualität und die psychischen Belastungen der Patienten verbesserten.
Die Frage muss erlaubt sein: Macht es Sinn, Menschen psychotherapeutisch zu behandeln, wenn deren Beschwerden genauso gut auch durch den Austausch eines Zahnfüllstoffes behoben werden könnten? Wird die Behauptung „psychosomatischer“ Effekte nicht ad absurdum geführt durch die Überlegung, dass man ebenso gut und mit einiger Evidenz auch somato-psychische Effekte annehmen kann? (Untersuchungen derselben Studie belegen low-dose-Effekte von Quecksilber auf Immun- und Funktionszellen: Lymphozyten reagieren in vitro auf niedrige Dosen von Quecksilber mit Suppression. Funktionszellen (Leber, Nieren, Nervenzellen) zeigen in vitro eine verminderte Anpassungsfähigkeit der zellulären Stress-Reaktion)
Ein umweltmedizinisch sinnvoller und für die Betroffenen weniger diskriminierender Ansatz wäre es dann, bei möglicherweise multipel belasteten Menschen erst auf der überschaubaren, vergleichsweise leicht zugänglichen körperlich-physischen Ebene zu behandeln (Entlastung des Organismus von Schwermetallbelastungen), bevor man weitere, möglicherweise seelische Belastungen auch nur postuliert (oder behandelt).
Eine Einschränkung hierfür ergibt sich bei Patienten, die im Sinne einer negativen Focusierung (möglicherweise auch nach traumatischen Erfahrungen beim Zahnarzt) eine besondere Zuwendung benötigen, bevor sie einem für sie zielführenden Behandlungsansatz überhaupt zugänglich werden.
Auf der Suche nach einer individuellen Wahrheit wird man zunächst diejenigen Menschen zu erkennen versuchen, die im klassischen Sinne eine Allergie auf eines der enthaltenen Metalle Quecksilber, Silber , Kupfer oder Zinn haben. Hier gab es in der Vergangenheit bereits Probleme, weil der bisher meist verwendete Epikutan-Test nur Kontaktallergien der Haut, nicht aber systemische Spättyp-Allergien (Typ IV-Allergien) identifiziert. Auch wird der Epikutantest wegen der nicht zu vermeidenden Konfrontation des Patienten mit den potentiell toxischen Metallen von Umweltmedizinern kritisch diskutiert. Im Lymphozyten-Transformationstest (LTT) sind Metallsensibilisierungen heute ohne Patientenbelastung und mit höherer Sensitivität nachweisbar.
Von den allergischen Phänomenen nicht immer klar abgegrenzt werden Unverträglichkeiten, die z.B. mit einer mangelnden Entgiftungsleistung im Körpersystem des Patienten einhergehen. Die in vitro nachgewiesenen low dose-Effekte wird man im Einzelfall nicht nachweisen können.
Zusammenfassend kann man zunächst also sagen, dass Amalgam ein Füllungsmaterial ist, das wie alle anderen Werkstoffe unverträglich sein kann im Sinne einer klassischen Allergie, das aber auch toxische Bestandteile hat, die im Körper wichtige Lebensfunktionen hemmen können. Ein „blinder“ Austausch gegen ein anderes Material ist nicht zu empfehlen, da prinzipiell jeder körperfremde Stoff unerwünschte Wechselwirkungen mit dem Organismus eingehen und darüber Trigger für chronische Erkrankungen sein kann.4
- Norheim, AJ, Ramstad, S.: Opplevde sammenhenger mellom amalgam og helse i den norske befolkning. NAFKAMs skriftserie, nr. 2., 2006
- Hamre, Harald: Amalgam. Probleme und Lösungen in der naturheilkundlichen Praxis. Hippokrates, 1997, S. 77-80
- Melchart, Dieter et al.:Treatment of Health Complaints attributed to Amalgam – The German Amalgam Trial. J Dent Research 2008, 97: 349-353
- Reichl, Franz-Xaver: Zur Toxikologie dentaler Restaurationsmaterialien. Vortrag zum 7. Norddeutschen Umweltsymposium Kiel, 18.-19.04.2008
Autor
Dr. Rudolf Völker
Zahn-Heilpraxis Hamburg
Bramfelder Chaussee 318
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