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Titan­unverträg­lichkeit


Titan zeichnet sich durch ein hervorragendes Korrosionsverhalten aus und hat dadurch eine im Vergleich zu anderen Metallen gute immunologische Verträglichkeit. Allerdings wissen sowohl Orthopäden als auch Zahnmediziner, dass bei einigen Patienten die Implantate unerwünschte Entzündungserscheinungen induzieren, die zur fehlenden knöchernen Integration, Perigingivitis und Periimplantitis führen können.

Echte zelluläre Typ IV-Sensibilisierungen auf Titan sind nur eine Rarität. Die Ursache ist, dass ionisches Titan im mittleren pH-Bereich unmittelbar nach Freisetzung oxidiert. Oxidierte Titanpartikel sind im Gegensatz zu Metallionen nicht in der Lage, über die Modifikation von Proteinen zum Allergen zu werden. Die häufig gemachte Aussage, dass es „auf Titan keine Allergien gibt“, ist aus streng immunologischer Sicht somit sehr wahrscheinlich richtig. Allergien sind jedoch nicht die einzige Ursache von immunologisch bedingten Unverträglichkeiten. Die häufigste Ursache der individuellen Überempfindlichkeit gegenüber Titan ist eine überschießende pro-entzündliche Reaktivität der Gewebemakrophagen auf Titanabriebpartikel.

An der Oberfläche implantierter Titanmaterialien findet metallischer Abrieb statt. Diese Titanoxidpartikel haben eine Größe zwischen 1 und 10 µm und sind nahezu immer im umgebenden Knochen- oder Weichgewebe des Implantats zu finden. Die Gewebemakrophagen phagozytieren die Titanoxidpartikel in der Umgebung von Titanimplantaten (partikulärer Debris).

Heute weiß man, dass die häufigste Ursache der individuellen Überempfindlichkeit gegenüber Titan eine überschießende pro-entzündliche Reaktivität der Gewebemakrophagen auf diese Abriebpartikel ist.

Es ist physiologisch, dass Makrophagen nach Kontakt mit Titanoxidpartikeln mit der Freisetzung pro-entzündlicher Zytokine, im wesentlichen TNFα und Interleukin-1, reagieren. Sehr individuell ist allerdings das Ausmaß dieser Immunantwort. Die Intensität der Zytokinfreisetzung hängt von genetischen Varianten (Polymorphismen) der beteiligten proentzündlichen (IL-1 und TNFα) und antientzündlichen (IL-1-Rezeptorantagonist IL-1RN) Mediatoren ab. Titan-spezifische Lymphozyten spielen im Unterschied zu allen anderen Metallen hier keine Rolle, was die negativen LTT- und Epikutantest-Ergebnisse erklärt.

Für diese Fragestellung wurde der Titan-Stimulationstest entwickelt und validiert (Dörner T et al. 2006). Bei diesem Vollblutstimulationstest wird untersucht, ob die Monozyten/Makrophagen des Patienten nach Kontakt mit Titanpartikeln mit einer gesteigerten Entzündungsantwort reagieren. Diese ist erkennbar an einer erhöhten Freisetzung der beiden proentzündlichen Schlüsselzytokine TNFα und/oder IL1β. Bei Patienten mit positiven Befunden ist eine verzögerte oder gestörte Einheilung von Titanimplantaten dadurch zu erklären, dass auch die Makrophagen im Implantationsgebiet auf frei werdende Titanpartikel hyperaktiv reagieren und primär eine lokale Entzündung induzieren.

Das Ausmaß und der Verlauf der Titan-induzierten Entzündungsantwort werden nachweislich durch das Verhältnis pro-und antientzündlicher Zytokine bestimmt. Mit welcher Intensität die Zytokine im Rahmen der Immunantwort freigesetzt werden, ist durch funktionell relevante Polymorphismen in den Genen der Zytokine individuell festgelegt. Inzwischen ist für diese Polymorphismen in den Genen der Zytokine IL-1, IL-1RN und TNF-α in einer Vielzahl von Studien der Zusammenhang zur Periimplantitis, zum Implantatverlust und zum frühzeitigen Verlust marginalen Knochens um enossale Dentalimplantate gezeigt. Die bekannten Polymorphismen in den Genen für TNF-α, IL-1 und IL1-RN können im Labor nachgewiesen werden. Dieses molekulargenetische  Verfahren hat den Vorteil, dass es nicht von aktuellen Entzündungsgeschehen oder immunsuppressiven Therapien beeinflusst wird. Die genetische Testung erlaubt an Hand der gefundenen Allelkombination die Zuordnung zu einem Entzündungsgrad. Patienten mit dem Grad 3-4 gelten als High-Responder und somit als Risikopatienten für ein Titan-assoziiertes Entzündungsgeschehen/ Implantatverlust (siehe Tabelle unten).

Die frühzeitige Erkennung und Evaluierung einer Prädisposition für eine aseptische Periimplantitis, welche mit einem primären oder sekundären Titanimplantatverlust verbunden sein kann, ist vor allem für präventive Fragestellungen von großer Bedeutung. In einer Studie, die von der Deutschen Gesellschaft für Umwelt-ZahnMedizin (DEGUZ) initiiert wurde, konnte die prognostische Aussagekraft des Titanstimulationstestes und des genetischen Entzündungsgrades bestätigt werden (Jacobi-Gresser et al. 2013). Im Vergleich zur Kontrollgruppe (68 Patienten bei denen Implantate seit mehr als 5 Jahren problemlos eingeheilt sind) zeigen Patienten mit Implantatverlust ohne Belastung in der Einheilphase (n = 14) sowie Patienten mit Implantatverlust nach Belastung (n = 29) eine signifikant höhere in vitro-Titanoxid-induzierte TNF-α und IL-1β-Freisetzung  im Titanstimulationstest (p<0.0001). Ein positiver Titanstimulationstest stellt ein vom Alter, Geschlecht und Raucherstatus unabhängigen Risikofaktor dar und erhöht das Risiko für ein Titan-assoziiertes Entzündungsgeschehen/Implantatverlust um das 12fache. Darüber hinaus hat die Anzahl an Polymorphismen in den IL1-, IL-1RN- und TNFa-Genen und somit der daraus resultierende genetische Entzündungsgrad einen signifikanten Einfluß auf den Implantatverlust (p* = 0.046).  Mit steigendem Entzündungsgrad steigt auch das Risiko für ein  Titan-assoziiertes Entzündungsgeschehen/Implantatverlust.

Relatives Risiko für einen Titanimplantatverlust
Grad 01,0
Grad 11,5
Grad 22,4
Grad 33,8
Grad 46,0
Positiver Titanstimulationstest12,0

Ein positiver Titanstimulationstest (p<0.0001) und ein steigender Entzündungsgrad (p<0.046) stellen vom Geschlecht, Alter und Raucherstatus unabhängige und somit additive Risikofaktoren für ein Titan-assoziiertes Entzündungsgeschehen/Implantatverlust da.

Ein auffälliges Ergebnis in einem der beiden Untersuchungen kennzeichnet das Vorliegen einer Prädisposition für ein Titan-assoziiertes Entzündungsgeschehen, welches mit einem primären oder sekundären Implantatverlust verbunden sein kann. Es ist nicht gleichzusetzen mit einer Allergie, bei der das Allergen zu meiden wäre. Grundsätzlich ist der Vorgang eines Implantatverlustes ein multifaktorielles Geschehen, weshalb ein positiver Titanstimulationstest und/oder eine Highresponder-Genkonstellation für sich allein noch keine absolute Kontraindikation für ein Titanimplantat darstellt. Bei Patienten mit positiven Befundkonstellation sollte aber folgendes bedacht werden:

  1. Diese betroffenen Patienten haben ein deutlich erhöhtes Risiko für ein Titan-assoziiertes Entzündungsgeschehen bzw. einen Titanimplantatverlust. Sie haben keine Allergie auf Titan.
  2. Bei Patienten mit bestehender Risikokonstellation sollten Alternativen zum Titan erwogen werden (Zirkondioxid-Implantate, herausnehmbarer Zahnersatz, beschichtete Titanimplantate).
  3. Sollte sich trotz einer bestehenden Risikokonstellation doch für Titan entschieden werden, kann u.a. folgendes berücksichtigt werden:
    • Intensivierte Prophylaxe
    • keine Verwendung von Parodontalsonden aus Titan
    • Implantation nicht ins präentzündete Knochenareal
    • intensive Therapie bestehender lokaler Entzündungen („Herde“) vor und nach Implantation
    • entzündungshemmende Medikation
    • Raucherentwöhnung
    • optimale Einstellung anderer prädisponierender Erkrankungen (z.B. Diabetes mellitus)
  4. Bei diesen Patienten ist neben der Reizelimination eher eine antientzündliche, niemals aber eine immunstimulierende Therapie angezeigt.

Durch die Kombination beider Laboruntersuchungen kann eine frühzeitige Risikoevaluierung bzw. Diagnostik erfolgen, die entweder eine vorherige Auswahl von Alternativmaterialien ermöglicht oder aber eine frühe Intervention erlaubt, um Gewebeschaden zu minimieren und die Erfolgsaussichten zu erhöhen.

Typ IV-Sensibilisierungen auf Titan sind wie schon erwähnt ausgesprochen selten, was an der hohen Oxidationstendenz des Titans liegt. In Abhängigkeit vom zur Verwendung an­stehenden Implantatsystem können aber Spuren an Nickel, Vanadium oder Aluminium enthalten sein. Daher sollte möglicherweise zusätzlich auf Typ IV-Sensibilisierungen auf diese Metalle untersucht werden (LTT). Positive Ergebnisse wären bei der Auswahl des Implantatsystems dann ebenfalls zu berücksichtigen.


Autor

Dr. rer. nat. Sabine Schütt
Nicolaistraße 22
12247 Berlin

Tel.: 030 770 01-220