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Parodontitis


Bevor die Parodontitis in ihr bekanntes Endstadium gerät (gelockerte Zähnen bei schwindendem Zahnfleisch und Knochengewebsabbau), ist es in einem meist jahrzehntelangen Prozess, oft schubweise, zu immer wiederkehrenden Entzündungen mit Rötung und Schwellung des Zahnfleisches gekommen. Oft blutet das Zahnfleisch (bei Rauchern kann diese Entzündungsreaktion unterdrückt sein). Schmerzen treten aber erst sehr spät auf. Die als Reizantwort der Immunabwehr auf bakterielle Beläge ausgelöste Entzündung verläuft - außer bei manchen aggressiven Varianten der Erkrankung - typischerweise langsam und still.

Während in der Kariesbekämpfung in Deutschland in den letzten Jahrzehnten große Erfolge - zumindest bei Kindern und Jugendlichen - zu verzeichnen sind, leidet die erwachsene Bevölkerung zunehmend unter der zweiten wesentlichen Erkrankung in der Zahnmedizin, der Parodontitis, also der entzündlichen Erkrankung von Zahnfleisch und Zahnhalteapparat.

Litten noch 1997 etwa ein Drittel der Erwachsenen an einer mittelschweren Parodontalerkrankung, so waren es im Jahre 2005 bereits 52,7 %, also schon über die Hälfte der Bevölkerung! Etwa 20 Prozent der Erwachsenen und 40 Prozent der Senioren leiden in Deutschland heute sogar unter einer schweren Parodontitis.1

Das ist, so paradox es klingt, auch eine Konsequenz der Erfolge in der Kariesbekämpfung und der konsequenten Zahnerhaltung: Gezogene Zähne bekommen keine Parodontitis! Einfach ausgedrückt: Da die Menschen heute ihre Zähne länger behalten, steigt das Risiko, dass diese Zähne früher oder später an einer Erkrankung des Zahnhalteapparates („Parodont“) leiden könnten.

Dennoch bleibt die Frage bestehen, warum eine Erkrankung zunimmt, wenn doch die Mundhygiene-Maßnahmen, die sie bekämpfen sollen, allgemein deutlich verbessert wurden: Bei den derzeitigen Konzepten der Parodontitis-Behandlung steht die Bekämpfung der Bakterien im Mittelpunkt des Interesses. Man kann eine Mundhöhle zwar nicht „bakterienfrei“ bekommen (auch ein gesunder Körper beherbergt mehr Bakterien als er Körperzellen hat), aber man kann die ungesunde Veränderung des Mundmilieus zu beherrschen versuchen und im Sinne eines „Biofilm-Managements“ daran arbeiten, ein Überhandnehmen krankheitsverursachender Bakterienarten zu verhindern.

Rauchen, Diabetes, Überlastung der Zähne durch Knirschen oder Pressen zählen zu den seit lange bekannten „Co-Faktoren“, deren Vorhandensein eine Parodontitis mit auslösen bzw. ihren Verlauf wesentlich verschlimmern können. Heute zunehmend diskutiert werden genetische Ursachen und Umwelteinflüsse durch Zahnersatzmaterialien, Schadstoffe, Ernährungseinflüsse und Stress („Übersäuerung“). Die oben angedachte Schlüssel-Frage, wie es denn überhaupt dazu kommt, dass eine chronische Entzündungserkrankung zunimmt, obwohl doch die verursachenden(?) Bakterien heute doch zumindest besser „im Griff“ sind als zuvor, findet hier eine mögliche Erklärung: Die Immunpathogenese der Parodontitis macht deutlich, dass die Entzündung als eine unkontrollierte und fehlgeleitete Reaktion eines instabilen Regulationssystems auf eine Vielzahl von Reizfaktoren zu sehen ist, also als eine Erkrankung, die sich am Ende aus einer Kette verschiedener, zusammen wirkender Ursachen ergibt: Eine multifaktorielle und komplexe Erkrankung.

Mehr Informationen zur Immunpathogenese der Parodontitis finden Sie hier.

Umweltfaktoren (z.B. Metallbelastungen, Giftstoffe)
+
„Lifestyle“ (z.B. Ernährungseinflüsse, Bewegungsmangel, Stress)
+
Gene (z. B. proentzündliche und antientzündliche Entzündungsstoffe (Interleukine))
=
KRANKHEIT

Die Diagnostik bei Patienten mit Parodontitis sollte umfassend sein. Sie sollte die möglichen Triggerfaktoren ebenso berücksichtigen wie die individuellen Resistenzfaktoren des Patienten, welche die Erkrankung beeinflussen können. Die dafür zur Verfügung stehenden diagnostischen Möglichkeiten sind vielfältig.

Mehr Informationen zur Immunpathogenese der Parodontitis finden Sie hier.

Die Immunpathogenese und die Untersuchungsergebnisse haben einen Einfluss auf die Therapie. Wenn es sich bei der Parodontitis doch um eine Entzündungserkrankung handelt, müßen wir in Zukunft sicherlich verstärkt entzündungsvermeidende Maßnahmen ergreifen, zumal die chronische Entzündung nicht isoliert zu betrachten ist und eine Parodontitis heute klar mit anderen Zivilisationserkrankungen wie Diabetes und der koronaren Herzerkrankung (Schlaganfall, Herzinfarkt) im Zusammenhang gesehen werden muß.

In der Umwelt-ZahnMedizin wird die Parodontitis als multifaktorielle Erkrankung gesehen. Sowohl in der Diagnostik als auch der Therapie werden - neben den Bakterien - von außen nach innen wirkende Faktoren berücksichtigt, aber auch das Immun- und Regulationssystem des betroffenen Patienten betrachtet.

  1. Vierte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS IV): Neue Ergebnisse zu oralen Erkrankungsprävalenzen, Risikogruppen und zum zahnärztlichen Versorgungsgrad in Deutschland 2005, Deutscher Zahnärzte Verlag 2006 

Autor

Dr. Rudolf Völker
Barmbeker Straße 27 B
22303 Hamburg
Tel.: 040 86 69 01 20
www.zahnfluesterer.net