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NICO - Immunmediatoren und Systementgleisungen


Die chronisch-osteopathischen Erweichungen im Kieferknochen sind ein Phänomen, das von weiten Bereichen von Medizin und Zahnheilkunde bis heute nicht wahrgenommen oder zumindest in ihren gesundheitlichen Auswirkungen nicht ernst genommen wird. Deutlich unterscheiden  sich diese von der klassischen Form einer akuten oder chronischen Osteomyelitis. Sie sind  eher den bekannten Formen der idiopathischen Osteonekrosen – zum Beispiel der Hüfte – zuzuordnen. Diese blanden Osteopathien und osteolytischen Nekrosen wurden von dem amerikanischen Pathologen Professor Bouquot als „Neuralgia Inducing Cavitational Osteonecrosis” („Neuralgie induzierende hohlraumbildende Osteonekrosen = NICO) bezeichnet , weil sie häufig unspezifische Gesichtsschmerzen auslösen. NICO ist also eine Sonderform einer Kieferknochen-Osteopathie – bezogen auf neuralgiforme Beschwerden. Diese osteolytische Osteopathien haben auch Auswirkungen auf das Gesamtsystem im Sinne einer stummen chronischen Entzündung; der leicht fassbare Begriff „NICO“ hat sich im klinischen Sprachgebrauch dennoch international eingebürgert.

Zur Verkennung der NICO als pathologische und systemisch-pathogenetische Strukturveränderung des Kieferknochens trägt sicher die Problematik ihrer röntgenologischen Darstellung bei. Eine konventionelle 2D-PSA zeigt bei NICO nur sehr begrenzt die tatsächliche Ausdehnung und Lokalisation der Osteolysen. Dort sind auffällige Spongiosastrukturen zu erkennen, die den dringenden Verdacht auf Vorliegen einer Knochennnekrose mit kavitätenbildender fettig-degenerativer Osteolyse aufkommen lassen. Durch die Einführung der digitalen Volumentomographie (DVT)  ist ein Verfahren verfügbar, das die medullären Strukturen im Bereich einer NICO mit größerer Verlässlichkeit darstellt. Das für die spezielle Knochendichtemessung im Kiefer konstruierte  transalveoläre Ultraschallgerät (TAU) dient als zusätzliches bildgebendes Verfahren zur rein messtechnischen Bewertung  der vorausgegangenen röntgenologischen Diagnose, im Sinne der gesetzlich vorgeschriebenen Sorgfaltspflicht als unbelastendes und kostengünstiges Adjuvans.

NICO ist eine Mangelversorgung in Form einer chronisch-trophischen Störung in Form einer ischämisch-nekrotischen und fettig-degenerativen Osteolyse. Morphologisch stellt sich die NICO im fortgeschrittenen Stadium als fettige Klumpen dar, die aus dem Markraum des Kieferknochens leicht auszulöffeln sind.

Seit einiger Zeit ist bekannt, dass nicht nur Immunzellen, sondern in geringerem Umfang auch Fettzellen Botenstoffe der Entzündung bilden. Die zweifache Fragestellung unserer Untersuchungen war deshalb:

  • Enthalten die fettig-degenerativen Bestandteile einer NICO auffällige Mengen an Immunbotenstoffen und Mediatoren?
  • Haben diese Immunbotenstoffe und Mediatoren der NICO Kausalverbindungen zu bestimmten Systemerkrankungen?

Seit einiger Zeit ist bekannt, dass nicht nur Immunzellen, sondern in geringerem Umfang auch Fettzellen Botenstoffe der Entzündung bilden. Die bead-basierten Multiplexuntersuchungen im IMD-Berlin haben bei unserem Kollektiv (n=31) insgesamt 7 Zytokine in NICO Gewebe gemessen. Verteilung und Konzentration der Immunmediatoren zeigt Abbildung 2, wobei sich ein deutliches Übergewicht von IL1-ra (Interleukin 1 Rezeptor Antagonist), RANTES und FGF-2 zeigt. Parallel dazu wurden Bohrkerne bei Implantationen aus gesundem Kieferknochen (n=19) untersucht, mit durchaus unterschiedlichen Resultaten ( Abbildung 2 ).  Das Prinzip von Up-Regulation (inflammatorisch/RANTES) und gegenläufige Down-Regulation (anti-inflammatorisch (Il1 RA) erklärt, warum NICO ohne typische Entzündungszeichen asymptomatisch abläuft. Deutlich wird sichtbar, dass die proentzündlichen Akutzytokine IL 1 und TNF-Alpha nicht erhöht waren, was in einem chronisch-blanden Pozess wie der NICO-Osteolyse auch  nicht zu erwarten ist.

Die Faszination unserer Arbeit liegt darin, dass sie einerseits ein ganzheitliches Erklärungsmodell für die seit Jahrzehnten berichteten Sanierungserfolge der sogenannten „Kieferostitis“ abgibt und andererseits den Schlüssel zu einer systemorientierten Behandlung verschiedenster chronischer Erkrankungen liefern könnte. Diese Arbeit interpretiert nur stichwortartig  die möglichen pathogenetischen Wirkungen der im NICO-Areal erhöhten Immunbotenstoffe. Grundsätzlich gehe ich von folgender Hypothese aus: Vom chronisch-schwelenden Prozess der NICO gehen ständige Stimuli aus, die für die jeweiligen erhöhten Zytokine charakteristisch sind. Perpetuierende Stimuli dieser immunologischen Signalstoffe führen über Jahre und Jahrzehnte zu einer Hypersensibilisierung entsprechender Organe und Organsysteme an deren Ende – weitere aktualisierende Kofaktoren vorausgesetzt -  das klinische Symptom in Form der spezifischen Erkrankung steht.

4.1. RANTES

RANTES (CCL-5) ist ein chemotaktisches Zytokin mit proinflammatorischer Wirkung. Die Frage lautet: Gibt es mögliche pathogenetische Wirkungen der im NICO-Areal erhöhten FGF-2 Spiegel?

4.1.1. Ist NICO-RANTES beteiligt an rheumatoiden Gelenkbeschwerden?
RANTES wird in der Synovia abgesondert und ist in einem fortschreitenden entzündlichen Prozess bei rheumatoider Arthritis beteiligt. Eine hypothetische kausale Verbindung der gesteigerten RANTES-Sekretion im Bereich der NICO lautet: Unter dem erhöhten Dauerspiegel der NICO-RANTES kann eine Konditionierung eintreten in Form von Gelenksentzündungen, Gelenksergüssen und rheumatoider Arthritis.

4.1.2. Ist NICO-RANTES beteiligt an Multipler Sklerose?
Erhöhtes RANTES wird in den Gehirn-Läsionen bei MS  gefunden. MS-Gehirne zeigen an den Rändern der aktiven Plaques mit T-Zell-reichen Gebieten erhöhte RANTES-Expression im gesamten ZNS. Die RANTES-Spiegel in der Cerebrospinalflüssigkeit bei MS-Patienten waren im Vergleich zu Kontrollgruppen deutlich erhöht NICO-RANTES verstärkt die entzündliche Antwort im Nervensystem. „RANTES könnte eine pro-inflammatorische Schlüsselsubstanz in der Pathogenese der Multiplen Sklerose sein (Journal of Immunology)”.

4.1.3. Ist NICO-RANTES beteiligt an Brustkrebs-Metastasen?
Körpereigene Stammzellen regen Krebszellen dazu an, sich zu verändern, zu streuen und in anderen Organen Geschwülste zu bilden. Eine besondere Art von Krebs-Stammzellen ist nötig, damit zum Beispiel Brustkrebs überhaupt Metastasen bildet. Wissenschaftler des Whitehead-Instituts in Cambridge, Mas., USA vermuten, dass diese Stammzellen einzelne Tumorzellen mithilfe von Signalstoffen in metastasierende Zellen verwandeln. Die Forscher haben schon ein Molekül entdeckt, das diese Metastasierungen fördert: das Chemokin CCL5, auch RANTES genannt.

4.1.4. Ist NICO-RANTES beteiligt an Asthma und Allergien?
RANTES spielt eine aktive Rolle bei der Mobilisierung von Leukozyten in entzündlich veränderten Gebieten. RANTES aktiviert Basophile und verursacht dadurch Freisetzung von Histaminen. Dadurch wird angenommen dass eine allgemeine Zellaktivierung abläuft, die oft mit Krankheiten wie Asthma und allergischer Rhinitis in Verbindung gebracht werden kann. RANTES ist auch ein potenter Aktivator des oxidativen Stoffwechsels spezifisch für Eosinophile.

4.2. FGF-2 (Fibroblast growth factor-2)

FGF-2 ist ein Mitglied einer großen Familie von Wachstumsfaktoren. FGF-2 fördert das Wachstum und die Entwicklung von Blutgefäßen (Angiogenese) und nimmt somit Einfluss auf Gewebeentwicklung, als auch auf verschiedene pathologische Vorgänge. FGF–2 wird u.a. von Fibroblasten, Epithelzellen, Muskelzellen der Gefäße, Herzmuskelzellen und von Mastzellen gebildet. Die Frage lautet: Gibt es mögliche pathogenetische Wirkungen der im NICO-Areal erhöhten FGF-2 Spiegel?

4.2.1. Ist NICO-FGF-2 beteiligt an rheumatoiden Gelenkbeschwerden?
Die rheumatoide Arthritis ist gekennzeichnet durch die Proliferation der Synovia, die zur Zerstörung vom Gelenkknochen und Knorpel führt. FGF–2 ist in der Synovia–Flüssigkeit erhöht. Die Zellen der Synovia binden FGF–2 und proliferieren als Reaktion darauf.

4.2.2. Ist NICO-FGF-2 beteiligt an Bindegewebstumoren?
Die Polypenbildung in der Nase und eine Bindegewebsproliferation von Nasennebenhöhlen wird beispielsweise durch FGF–2 gefördert. Weiterhin kann beim systemischen Lupus erythematodes das Wachstum von Fibromen durch Antikörper, die gegen FGF–2 gerichtet sind, fast vollständig inhibiert werden.

4.2.3. Ist NICO-FGF-2 tumorfördernd bei Krebs?  
FGF-2 ist in den meisten Gliom erhöht und ist an der Tumorgenese und an der malignen Entwicklung beteiligt. FGF könnte auch in der Neuvaskularistion von Tumoren eine Rolle spielen. In fortgeschrittene Stadien des Pakreaskarzinoms wurden stark erhöhte FGF-Werte gefunden; ebenso beim Magenkarzinom und beim Nierenzellkarzinom. Bei vielen Krebsarten, wie z.B. Gliomen und Magenkarzinomen wurden auch sehr hohe Spiegel an FGF in Serumund Urin gefunden. In späten Stadien der Tumorentstehung, welche von der Organisation des Granulationsgewebes und der Neubildung und Proliferation von Kapillaren geprägt ist, wird deutlich mehr FGF–2 synthetisiert. Dies ist ein weiterer Hinweis auf die starke Förderung der Angiogenese durch FGF–2. Durch diese angiogenetische Wirkung und seine mitogenen Eigenschaften spielt FGF–2 bei der Genese von Tumoren und deren Metastasierung eine Rolle, deren Tragweite noch nicht abschätzbar ist.

4.2.4. Ist NICO-FGF-2 beteiligt an Herzinfarkt und CVD?
Da die Einwanderung und Proliferation von Endothelzellen eine Schlüsselrolle in verschiedensten Gefässerkrankungen spielen und da FGF eine entscheidende Rolle bei der Steuerung von Endothelzellen spielt, könnte die Blockade der FGF-Expression beträchtliche therapeutische Aussichten mit sich bringen.

Patient 38 Jahre, männlich mit folgender klinischer Symptomatik: Kniegelenksschmerzen rechts seit 12 Monaten. Medizinische Diagnose: Rheumatiforme Arthritis. Ärztliche Maßnahmen: Prednisolon und Metotrexat Nach NICO-Sanierung im Oberkiefer links am 08.09.2008 regio 28/29 verschwinden Knieschmerzen sehr schnell.  Im März 2009 berichtet der Patient:

Von Februar bis Mai 2007 verschlimmerten sich die Schmerzen im rechten Knie. Der Hausarzt überwies mich zum Rheumatologen, da ich morgens größte Mühe hatte, aufzustehen und die Treppe hinunterzugehen. Auch meine Hände wurden zunehmend unbeweglich. Der Rheumatologe diagnostizierte rheumatoide Arthritis. Als Behandlung wurde eine Therapie mit Prednisolon und Metotrexat festgelegt.….Nach jeder der 4 NICO-Operationen merkte ich eine Verbesserung meines Zustandes. Anfang Mai 2008 habe ich die Einnahme von Prednisolon und Metotrexat abgesetzt. Ich bin heute zu 95% schmerzfrei, besonders auch morgens beim Aufstehen“ (12).

Ein erweiterter Umwelt-ZahnMedizinischer Ansatz lässt folgenden zusammenfassenden Schluss zu: Nicht nur unverträgliche Materialien und Medikamente können über entgleiste Immunmuster zu einem systemischen Stressfaktor werden, sondern auch die unerkannten blanden Osteopathien des Kieferknochens in Form der fettig-osteolytischen NICO-Osteonekrosen. Deren pathogenetischer, salutogenetischer und diagnostischer Gewichtung sollte in der täglichen Praxis verstärkt werden.

Das Gutachten zur NICO/FDOK von Prof. May steht allen DEGUZ-Mitgliedern im Mitgliederbereich dieser Homepage zur Verfügung.   


Autor

Dr. med. dent. und Heilpraktiker Johann Lechner
Grünwalder Straße 10 A
81547 München
Tel.: 089 697 00 55


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